Von Landschaften, die in Farbklängen erscheinen. Die Ausstellung „Colous alive“ erinnerte im Bürgersaal des Rathauses an den 2022 gestorbenen Künstler Harald Huss. Das Werk befasst sich mit dem Wesen und mit der Wirkung von Farbe (Nürtinger Zeitung, 25. Januar 2025).

Eröffnungsrede von Michael Gompf anlässlich der Vernissage am 22. Januar 2025. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Harald Huss habe ich vor etwa 35 Jahren durch gemeinsame Freunde kennengelernt. Da war er in Nürtingen schon beinahe 15 Jahre als Künstler aktiv, wir waren uns aber bis dahin noch nicht persönlich begegnet! Das ist insofern bemerkenswert, als er doch bei gemeinsamen Aktionen der Nürtinger Kunstszene Ende der 70iger Jahre mitmischte und ihn deshalb viele der damals im Kulturbereich engagierte Menschen kannten. Jahrzehnte später, der aus Nürtingen stammende Künstler Les Schliesser stellte gemeinsam mit seiner Partnerin Daniela Brahm im Kunstverein Nürtingen ihr mittlerweile weltbekanntes Projekt „Ex-Rotaprint“ Berlin vor, sagte dieser zu mir: „Ohne den Harald hätte ich nie Kunst studiert“! Als Schüler hatte er ihn bei der Ausstellung „ Diotima liebt auch dich“ im ehemaligen Landratsamt, an der Harald teilgenommen hat, angesprochen und die Begegnung bestärkte Les nachhaltig in seinem Interesse für Kunst. Mit der Übernahme des 1. und 2. Vorstands im Kunstverein Nürtingen begann 2002 dann eine engere freundschaftliche Beziehung mit Harald, in deren Folge ich über die Jahre auch bei mehreren seiner zahlreichen Ausstellungen gesprochen habe.

Harald war überaus produktiv. Wenn ich ihn in seinen Ateliers besuchte, war da eigentlich immer eine neue Werkreihe zu entdecken. Und Experimente mit neuen Materialien! Die Reihe entsprach seinem malerischen Vorgehen. Er machte Untersuchungen zu Farbklängen. Wenn sie die hier gezeigten Arbeiten betrachten, werden sie feststellen, die vermeintlich einfarbige Fläche auf dem Malgrund hat sich entwickelt. Der Farbton entsteht nicht auf der Palette, er entfaltet sich auf der Fläche durch Überlagerung von dünnen Farbschichten. Man kann ohne Übertreibung sagen, Harald hat sich die letzten 30 Jahre seines Lebens künstlerisch mit dem Wesen der Farbe und seiner Wirkung auf die Psyche befasst. Er ging dabei immer von sich aus. Und von der Feststellung Josef Albers: „Farbe ist das relativste Mittel in der Kunst“ (Interaction of colours 1971). Der amerikanische Farbfeldmaler Richard Diebenkorn könnte eine weitere Anregung gewesen sein. Zumindest, wenn man den Aspekt betrachtet, wie Harald Huss Landschaftseindrücke von seinen Reisen in den Süden Europas in seinen Skizzen in Farbklänge übersetzte, um sie dann im Atelier in Werkreihen adäquat zu komponieren. Die stetig neue Wechselwirkung von Licht und Landschaft verwandelte er in immer neue Arrangements von Farbabfolgen. Davon ausgehend begannen sich diese zu verselbständigen, das eben gemachte erforderte eine weitere Erkundung der jetzt autonomen Farbwirkung. Hier in der Ausstellung sehen Sie eine kleine Auswahl dieser Auseinandersetzung mit der Farbe: „colours alive“. Seinen Katalog von 2012 betitelte er: „Lost in colours“! Nichts war Harald in der Kunst wichtiger, als eben dies sagen zu können.

Sie sehen aber auch einige wenige Objekte, die Harald Huss mit dem Auftrag von Farbe zu Farbträgern machte. Die Reihe Stühle ist prominent vertreten, aber es existieren zahlreiche weitere Objekte. Fundstücke, Weinreben, exakte Holzobjekte, die wie bemalte Ziegel Bodenbereiche besiedeln. Ganz radikal dann emanzipierte er die Farbe vom Farbträger und hob die angetrocknete Farbmasse vom Atelierboden ab.

Sein Atelier war wie eine entgrenzte Leinwand, überall Farbe, überall Farbklänge, überall mögliche Kompositionen. All das existiert jetzt nur noch in einer Lagerform, die seine Lieben sehr sorgsam aufgebaut haben. Von Zeit zu Zeit verdient es dieser Fundus in jeweils neu zusammengestellter Form ein Publikum zu finden, um es an Haralds Reise in die Farbe teilnehmen zu lassen.

Diese Reise ist noch nicht abgeschlossen!
Vielen Dank.

Ausstellung im Bürgersaal des Rathauses Nürtingen vom 23. Januar bis 21. Februar 2025. Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch 08.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 08.00 bis 18.00 Uhr, Freitag 08.00 bis 12.00 Uhr. Eintritt frei.

Es ist ihm [Harald Huss] wichtig für jede Stimmung den richtigen Bildträger zu finden, und da ist auch nichts vor ihm sicher. Wie wir gesehen haben, verlässt er gerne den Weg des Üblichen, sprich Leinwand oder Papier, und probiert sich auf den unterschiedlichsten Untergründen aus und nimmt dabei wahr, was um das Bild herum im Atelier passiert, nimmt den Zufall an als Quelle der Inspiration. Malspuren auf der unterlegten Folie oder die Farbreste am Boden macht er genauso zur Kunst. Alles was im Atelier passiert, alles was zum Prozess dazu gehört ist für ihn genauso Malerei wie das fertige Bild (Dr. Katrin Butschell. Eröffnungsrede Harald Huss „Malerei“. Städtische Galerie im Kornbachhaus. Kirchheim, 10. Februar 2017).

Farben können starke Empfindungen auslösen. Wir reagieren sehr individuell auf bestimmte Nuancen und Töne. Dabei können wir über unsere Fotorezeptoren in der Netzhaut nur einen kleinen Teil der im Licht verborgenen Farbspektren überhaupt wahrnehmen. Dem Künstler Harald Huss gelingt es, mit seinen Farbkompositionen einen ganz einzigartigen Wohlklang zu erzeugen.

Bis zu achtzig Schichten legt er dafür über- und nebeneinander. Obwohl in jedem Gemälde eine Farbe dominiert, steht sie nie allein oder abgegrenzt. Sie schmiegt sich an weitere, taucht unter anderen wieder auf, versetzt benachbarte in Schwingung, färbt sie ein, erzeugt eine neue Stimmung. Die Übergänge sind weich, fließend, anders als in der Tradition der Farbfeldmalerei. Unerschöpflich sind die Farbvariationen, die Harald Huss auf Papier, Holz, Leinwand oder Metall bannt. Häufig inspiriert von seinen Reisen, von Licht und Farbeindrücken der jeweiligen Städte und Landschaften, findet er immer neue, faszinierende Kombinationen (Kunstberaterin Eva Mueller).

Bei aller Technik- und Materialbezogen-, ja vielleicht auch -Vernarrtheit spielen Ort und Landschaften eine nicht unwesentliche Rolle in Harald Huss‘ Werk. Auf ausgedehnten Wanderungen durch unterschiedlichste Landschaften oder Städte, sei es nun hier in Deutschland, Frankreich oder Portugal nimmt er lokale Eigenarten, Stimmungen, Gerüche und Farben auf, um sie dann schichtweise als Malerei auf seine Leinwände zu bringen (Tobias Wall).